Text: Anita Lehmeier | Fotos: Simon Kurt

DAS MICK-JAGGER-SYNDROM. Zwei Stände am Luzerner Wochenmarkt erkennt man schon von weitem – am Duft und den Warteschlangen: Rolf Beelers Käsetheke und den Eigenbrötler, beide an einem Ende der Kapellbrücke zu finden. Der Maître Fromage Affineur oder einfacher gesagt der Käsepapst steht seit Jahr und Tag am Samstag am Eingang der berühmtesten Reussbrücke und verkauft Käse. Seit genau 46 Jahren! «Eine kleine Ewigkeit», meint der Aargauer, «aber eine kurze Zeit nur im Vergleich zum Märt: den gibt es seit siebenhundert Jahren!» Jeden Markttag für seine Kundschaft da zu sein bedeutet: Tagwacht um 3 Uhr, Abfahrt in Mellingen um vier, Stand aufstellen und einräumen dann ab fünf, ab halb sieben kommen die Kunden, bis zwölf wird verkauft, bis ein Uhr gepackt und zusammengeräumt, eine Stunde Heimfahrt – ein langer Tag. Warum tut sich der 68-Jährige das noch an? «Das ist vielleicht wie bei den Rolling Stones», erklärt Beeler, «die haben auch gesagt, sie hören mit 35 auf – und touren noch heute im Rentenalter. Ich vergleiche mich ja nicht mit Mick Jagger, aber ich kann ihn verstehen: dieses Echo vom Publikum, das hält einen ‹on tour›. Ich brauche diesen direkten Kontakt auch, ich will wissen, was ankommt, was die Leute wollen.» 100 Käsesorten vom Feinsten sind im Angebot, die Kunden sind verrückt danach. Vor Beelers Märtstand bildet sich stets eine Warteschlange, alle warten geduldig mit der Nummer in der Hand wie einst am Postschalter. «Nicht die Post hat das Nümmerli-Ziehen in der Schweiz eingeführt, das war ich, vor über 30 Jahren!». Das System hat er in Spanien erstmals gesehen und sofort in der Schweiz eingesetzt, um dem Andrang am Stand Herr zu werden. Grosses Bild oben: Maître Fromager Affineur Rolf Beeler fährt seit 46 Jahren an den Luzern Markt. Sein Standplatz: bei der Kapellbrücke.

Markt in Luzern Sbrinz AOP Käse von Rolf Beeler 2022

Rolf Beelers Sortiment in Luzern: 100 Käsesorten! 

Markt in Luzern Käsestand von Rolf Beeler 2022

Touristischer & kulinarischer Hot Spot: Beelers Stand.

Markt in Luzern Sbrinz AOP Käse von Rolf Beeler 2022

Goldstück: siebenjähriger Alp-Sbrinz AOP von Res Gut.

Alpsbrinz AOP von der Chieneren.  Einer nach dem anderen wird an Beelers Kühltheke, seiner grossen Bühne, bedient. Viele wissen genau, was sie wollen, andere lassen sich gern beraten. Am liebsten vom Meister höchstselbst. Allein kann Beeler den Andrang nicht bewältigen, es sind immer zwei bis drei Helfer und Helferinnen dabei. Für die Weltklasse-Auswahl an Käsen aus dem In- und Ausland reisen Liebhaber von weit her zum Luzern Markt. Heimische Publikumslieblinge sind etwa Gruyère, Appenzeller und Sbrinz AOP, etwa der Alpsbrinz von Res Gut von der Chieneren im Wiesenberg. «Ich konnte dem Res zwölf Laibe vom siebenjährigen abkaufen, jetzt habe ich noch zwei. Kein Wunder, dass die Kunden wild darauf sind – ein unvergleichlicher Käse», schwärmt Beeler. Für einen Kunden liegt heute ein bestelltes Zwei-Kilo-Paket zum Abholen bereit. 

Markt in Luzern Käser Sälmi Töngi 2022

Der Sälmi Töngi mit seinem Gerschnialp-Sbrinz AOP. 

Famous in New York. Neben Stammkundschaft stellen sich auch Touristen in die Schlange bei Beeler, neugierig auf Swiss Cheese. Ein Gast aus New York meint verblüfft zum Maître: «I know you guy!» Beeler nimmt seinen Promi-Status so cool wie Jagger und erklärt: «Daniel Humm hat mal meinen Appenzeller gelobt, sein Werbespruch ging offenbar um die Welt.» Der Amerikaner will vom Käse mit den Löchern probieren – Emmentaler, what else? – er bekommt wie alle Probierwilligen ein Stück über die Theke gereicht. Schwieriger seien Touristen aus China, die in Horden einfallen, alles anfassen wollen - und nichts kaufen. Beeler ist nicht unglücklich, dass die Carladungen an Reisenden aus China zurzeit ausbleiben. Ein paar Meter der Reuss entlang ist ein anderer Chäs-Promi allwöchentlich präsent: Sälmi Töngi von der Gerschnialp ob Engelberg, im obligaten blauweissen Jenny-Hemd und breitem Lachen unter noch breiterem Schnauz. Zu seinem vielgelobten Alp-Sbrinz AOP, Ziegenkäse und Ricotta bekommt die Kundschaft eine Gratis-Portion urigen Innerschweizer Dialekt ab.

Markt in Luzern Brotstand von Eigenbrötler Daniel Amrein 2022

2000 handgemachte Bio-Brote gehen jeden Samstag am Marktstand beim Theater vom Eigenbrötler aus Wauwil über den Tresen.

Markt in Luzern Eigenbrötler Daniel Amrein 2022

Das Korn für die Brote vom Eigenbrötler Daniel Amrein wird täglich frisch in der eigenen Mühle gemahlen, die Leute stehen Schlange dafür.

ER GIBT IHNEN SAURES. Die kulinarische Ergänzung zu Beelers und Töngis Käse, das beste Brot weit und breit, finden Marktflaneure am anderen Ende der Kapellbrücke: beim Eigenbrötler, dem wilden Mann mit dem langen grauen Bartzopf aus Wauwil, der sich vor 21 Jahren mit Laib und Seele dem Back-Handwerk und dem Bio-Gedanken verschrieben hat. Auch vor dem Stand von Daniel Arnold, wie der Eigenbrötler bürgerlich heisst, stehen die Leute Schlange. 2000 seiner Brote, deren Korn aus der hauseigenen Mühle stammt, gehen jeden Samstag über die Ladentheke. Auch hier sind vier Mitarbeitende nötig, um die Nachfrage nach den Luzerner Weggen, den Sauerteig- und Buchweizenbroten und dem sechssträngigen Butterzopf zu befriedigen. Wie ihr Macher zeichnet die Brote eines aus: Charakter. Auch er ist meist selbst am Markt anzutreffen, «um sich ein paar Streicheleinheiten von der Kundschaft abzuholen». Da ist sich der Eigenbrötler mit Rolf Beeler einig und nimmt den Rummel am Stand nach einer sehr kurzen Nacht gern in Kauf. Eine weitere Gemeinsamkeit des Käse- und Brot-Spezialisten: Beide sind in der Spitzengastronomie landauf landab vertreten, durch die Starchefs wurden sie bei den Gourmets erst richtig bekannt. Und beide sind am 14. August auch im Line-up der Stars an der GaultMillau Garden Party in Bad Ragaz.

Markt in Luzern 2022

Grünzeug, erntefrisch vom Buurgarte Boog Hünenberg.
 

Markt in Luzern 2022

Knobli und Zwiebeln von Beelers Nachbarn Boog.

Markt in Luzern 2022

Passend zum Käse: frische Kartoffeln für Gschwellti.

Gemüse? Boog! Zeichnet sich Rolf Beelers Angebot durch das Alter und die fachmännische Lagerung aus, bietet sein Nachbar Edgar Boog am Wochenmärt das genaue Gegenteil: Die Ware vom «Buuregarte» in Hünenberg ZG ist knackfrisch! Hier finden Gemüsefans alles erntefrisch, was Herz und Magen begehren. Der Stand wirkt gerade im Sommer mit der bunten Vielfalt an Grünzeug und Gemüse wie ein Miniatur-Garten, vor dem nicht nur Vegetarier geduldig anstehen. Wer den rein fleischlichen Genüssen den Vorzug gibt, wird am Luzern Markt gleich neben dem Eigenbrötler fündig: am Stand von Holzen Fleisch aus Ennetbürgen. Die Auslagen hier stammen von Angus-Rindern, Wollschweinen und Damhirschen, die am Südhang des noblen Bürgenstocks mit 1a-Aussicht aufwachsen, bis sie stressfrei in die hofeigene Metzgerei kommen.

Brankas Maggiabrot. Ein Tipp noch von Rolf Beeler: seine Standnachbarin Branka Battaglia-Abram aus Locarno hat stets das beste Brot aus dem Valle Maggia dabei, von der Bäckerei Leibundgut in Losone, dazu köstlichsten Tessiner Brot-Kuchen. «Im Hochsommer muss ich leider auf den Tessiner Sonnenschein von Branka verzichten», sagt Beeler. «Dann kommt sie nicht nach Luzern, wegen den Staus am Gotthard.»