Text: Anita Lehmeier | Fotos: Nik Hunger

Unterwegs mit 15 Säumerinnen und Säumer. Wanderer auf der Trübsee ob Engelberg erlebten diesen Sommer nicht nur die Sommerfrische in den Voralpen, sondern gleich eine Zeitreise retour und die Wiederbelebung eines jahrhundertealten Handwerkes. Rund um das Restaurant Alpstübli hatte ein Säumerzug Halt gemacht. Sieben Pferde, ein Maulesel, ein Muli und zwei Esel frassen genüsslich ihre Heuration, um sie herum lagen hölzerne Fässchen, Kisten und Gestelle, Weidenkörbe, Seile und mächtige Käselaibe. Die Tiere wurden von 15 Säumerinnen und Säumern versorgt, alle in historisch anmutender Kleidung mit Filzhut und Fellgilets, dunklen dicken Hosen, uni Leinenhemden. Kein Goretext, keine Sonnenbrillen, keine Neonfarben, höchstens ein rotes Glarnertuch um den Hals geknotet. Die Säumer sind so ausgerüstet und gekleidet wie ihre - im wahrsten Sinn: Vorgänger. Jahrhundertelang brachten wackere Innerschweizer Säumer Sbrinz über die Alpen, zu Fuss - und mit Hilfe eines PS, einer Pferdestärke. 

Säumer auf der Sbrinzroute von Wolfenschiessen nach Domodossola, auf Alp Trübsee

Säumer wie anno dazumals: Mit Muli & Leinenhemd.

Säumer auf der Sbrinzroute von Wolfenschiessen nach Domodossola, auf Alp Trübsee

Wertvolle Fracht: Mächtige Käselaibe werden bis nach Domodossola transportiert.

Säumer auf der Sbrinzroute von Wolfenschiessen nach Domodossola, auf Alp Trübsee

Wachsamer Aufpasser: 15 Säumer, 3 Wanderer und 11 Lasttiere müssen zusammengehalten werden!

Von Unterwalden nach Domodossola. Genau das tut der Trupp, der sich jetzt im «Alpstübli» mit Älpler-Magronen verpflegt, nachdem das Wohl der Tiere sichergestellt ist, noch heute. Sie bringen auf der Sbrinz-Route das «Gold der Alpen» von Unterwalden nach Domodossola und dann über die grüne Grenze nach Italien. Allerdings sind nur vier Laibe Sbrinz dabei, eine eher symbolische Menge im Vergleich zu den Säumern von einst. Die führten meist zu zweit sechs Tiere, alle vollgepackt mit Käse. Und auf der berühmten Route herrschte massiv Verkehr, heavy traffic, bis zu 300 Bewegungen in Spitzenzeiten – allein in eine Richtung! Sbrinz war an den Höfen der Päpste und Könige in Italien heiss begehrt – und die Urschweizer clever genug, ihn über die Alpen zu bringen, wo man gutes Geld damit machte. Auf dem Rückweg trugen die Tiere Wein, Stoffe, Gewürze, Tee – Luxusgüter von der Seidenstrasse. Globale Handelsrouten sind also nichts Neues.

 

155 Kilometer in sieben Tagen. In unserem Zug am Trübsee sind 15 Leute dabei, die elf Tiere führen. Und anders als in vorherigen Epochen ist auch eine Gruppe Wanderer, die sich ebenfalls die Alpenquerung zu Fuss vorgenommen haben, mit von der Partie, 18 Leute aus der halben Schweiz und aus Deutschland. Statt des Jakobswegs wandern sie eben auf der Sbrinz-Route und geben dem einstigen Exportschlager ihr Geleit. Säumer und Wanderer werden auf der 155 Kilometer langen Strecke sieben Tage unterwegs sein, an jedem Etappenhalt wird es Säumerfeste, Empfänge und staunendes Publikum geben. Gestartet sind sie in Grafenort im Engelbergertal mit einem Säumerfest light und einem Gottesdienst.
 

Säumer auf der Sbrinzroute von Wolfenschiessen nach Domodossola, auf Alp Trübsee, Chef Daniel Flühler

Präsident der Säumer & Train Vereinigung Unterwalden: Daniel Flühler war bereits bei zwei Duzend Säumerzügen dabei!

DIRETTISSIMA über die Alpen. «Die Sbrinz-Route ist tatsächlich der kürzeste Fussweg über die Alpen. Unsere Vorfahren bahnten sich mit Pickeln, Schaufeln und Körperkraft ihren Weg, lange bevor es Sprengstoff gab», weiss Daniel Flühler aus Alpnachstad. Der Mann mit dem grauen Schnauz und den himmelblauen Augen weiss wie kaum ein zweiter Bescheid über die Säumerei einst und heute. Er ist Präsident der Säumer & Train Vereinigung Unterwalden, einer fast 100-jährigen Institution mit einst militärischem Hintergrund. Im Jahr 2003 brüteten eine Handvoll geschichtsaffine Menschen über der Idee, die historische Sbrinz-Route wiederzubeleben. Schon ein Jahr später machte sich bereits ein Neo-Säumertrupp auf die Reise in Richtung Italien, mit Sack und Pack, Käse und Lasttieren – und sorgte für Volksaufläufe, wo immer die Gruppe auf ihrer wöchigen Reise durchkam. «Sogar der italienische Kulturminister war da. Das Medienecho war unglaublich, es gab rund 500 Presse- und Rundfunkberichte über uns», erinnert sich Flühler. Ermutigt von so viel Aufmerksamkeit, setzte sich der Förderverein zum Ziel, jeden Sommer einen Säumerzug zu organisieren. Das hat bis heute funktioniert, Flühler selbst war zwei Dutzend Mal dabei als Säumer, auf der Sbrinz- oder anderen alten Handelsrouten. 

Säumer auf der Sbrinzroute von Wolfenschiessen nach Domodossola, auf Alp Trübsee

Schwer beladen: Früher waren die Tiere vollgepackt mit Käse. Heutzutage werden an den Säumerzügen nur noch symbolische Mengen über die Alpen transportiert.

«Die Rinde schützt den Käse.» Unsere Säumer hatten Wetterglück. Während es in der letzten Augustwoche in den Niederungen goss wie aus Kübeln, blieb die Säumer- und Wandergruppe meist trocken. Dem Sbrinz AOP hätte weder Regen noch Sonne zugesetzt, obwohl die Laibe unverpackt auf Holzgestellen transportiert wurden. «Die Rinde schützt den Käse besser als jede Verpackung das könnte», erklärt Stefan Heller, Geschäftsführer der Sortenorganisation Sbrinz AOP, die die Säumer unterstützt. Die nächste geführte Wanderung auf der Sbrinz-Route findet vom 3. bis 10. Oktober 2021 statt. Es werden auch dann viele Habitués dabeisein, denn das einmalige Naturerlebnis, zu Fuss die Alpen zu queren, in Begleitung eines Säumerzugs, habe Suchtpotenzial, erzählt Flüeler. «Wenn nach einer Woche auf der Piazza Mercato in Domodossola die Menschen zusammenströmen, den Säumerzug feierlich empfangen und der weitgereiste Sbrinz AOP verkauft wird, sind all die Strapazen der Wanderung vergessen.» Und alle strahlen mit dem «Gold der Alpen» um die Wette.

 

>> Sbrinz-route.ch

>> sbrinz.ch