Text: Urs Heller
«Ein wandelndes Lexikon». Christian Scherrer? Kennen wir doch. Der 18-Punktechef kochte ein paar Jahre im «Giardino» in Ascona. Rolf Fliegauf, mit 18 Punkten GaultMillaus «Aufsteiger des Jahres», erinnert sich noch gut an die Zusammenarbeit: «Christian ist ein wandelndes Lexikon. Übers Kochen weiss er alles.» Scharrer verliess das «Giardino», weil er das «Weissenhaus»-Angebot nicht ausschlagen konnte. Können wir verstehen: ein unglaubliches, 75 Hektaren grosses Anwesen in der Hohwachter Bucht an der Ostsee, nur 90 Minuten von Hamburg entfernt. Scharrer und seine Frau Nathalie sind die kulinarischen Schlossherren: Das «Courtois» (18 Punkte, zwei Sterne) ist ihr Revier. Unglaublich: direkt vor der Terrasse weiden am Futtertrog Reh und Hirsch. Idylle pur.
Grandios geschmorte Lammschulter. Scharrer legt im «Courtier» eine «grosse Reise» und eine «kleine Rundfahrt» auf. Natürlich musste es die «grosse Reise» sein: Kalbskopf, leicht angebraten, in einer Bärlauchsuppe. Saibling mit Kohlrabi und Rauchfisch-Fumet. Loup de mer mit dicken Bohnen und Tomatenbutter. Lammrücken mit Artischocke und Sellerie; vor allem die geschmorte Schulter war grandios. Die Suche nach den passenden Weinen kann man an Anne Tenschert delegieren. Sie ist eine versierte Sommelière und bittet auch immer wieder zu spannenden Degustationen ins Gewächshaus oder in den Rosengarten. Ein Pop-up im Park gibt es auch: modern interpretierte Sushi und weitere asiatische Gerichte. Natalie Fischer und Frank Nager, miteinander verheiratet und verliebt ins «Weissenhaus», führen das Resort mit angenehmer Gelassenheit und sehr zuvorkommend. Natalie: «Wir wollen unsere Gäste extrem glücklich machen.»
Frühstück bis 12 Uhr im Kavaliershaus. «Weissenhaus» besteht aus über 40 (!) wunderschönen, zum Teil Denkmal geschützten Gebäuden. Also kann man das noble «Kavaliershaus» ausschliesslich fürs Frühstück nutzen. Es duftet nach frischen Brötchen und Kuchen aus der Schlossbäckerei. Fleisch & Wurst wird aufgeschnitten, die Eierspeisen à la minute zubereitet und alles mit rustikaler Freundlichkeit serviert. Typisch Weissenhaus: Die riesigen Buffets werden erst abgeräumt, wenn der letzte Gast beim Frühstück war. Kann auch erst um 12 Uhr sein. Die höchstens 110 Gäste schlafen angesichts der Ruhe im Park gerne etwas länger und spazieren aus allen Richtungen hin zum «Kavaliershaus». Einige übernachten in den grandiosen Suiten im über 400-jährigen, markanten und sehr liebevoll eingerichteten Schloss. Andere bevorzugen die Idylle der Cottages am Strand oder ziehen im umgebauten Badehaus ein. DZ ab 380 Euro.
Fischsuppe & Sonntagsbrunch. Früher oder später will jeder «Weissenhaus»-Gast nur das eine: einen Strandkorb an der Ostsee! Der Naturstrand ist drei Kilometer lang. Windstill ist es nie, aber in diesen Sylter Körben fühlt man sich bei jeder Windstärke wohl. In den Dünen steht das «Bootshaus» mit Meerterrasse. Christopher Schlang kocht dort bemerkenswert gut und für 15 GaultMillau-Punkte: Pfifferlinge im «Vogelnest», Ceviche von der Selenter Forelle, Fischsuppe mit Edelfischen aus der Ostsee, Fehrmarnschner Kabeljau, Wild und Weidelamm – was will man am Meer noch mehr? Am Sonntag bittet Schlang zum Brunch: Pizzabrot aus dem Steinofen, geschlagene Fassbutter mit Meersalz, Würste aus der Hausschlachterei, Barbecue mit Fisch, Bio-Huhn und Rinderhuftsteak, Spaghetti aglio e olio, Desserts - und das alles zum Schnäppchenpreis: 45 Euro, inklusive Begrüssungsapero.
Schlossthermen & Bienenhäuschen. Die 2000 m2 grossen «Schlossthermen» mit gläsernem Pavillon sind so ruhig und exklusiv wie das ganze Resort: vier Saunen, ein Hamam, ein Rasul-Bereich, ein 20 Meter langer Innen- und Aussenpool, eine Vitalbar und ein gut ausgestatteter Gym. Ein neuer Sole-Whirlpool unter freiem Himmel ist die neueste Attraktion. Der Salzgehalt im 35 Grad warmen Wasser ist so wie in der Ostsee: 0,5 Prozent. Alternative: Entschleunigen im historischen «Bienenhäuschen» mit eigener Sauna, Jacuzzi und eigenem Garten.
Zu 90 Prozent ausgebucht. So grosszügige Resorts wie Weissenhaus sind in Zeiten von Corona sehr gefragt. «Wir sind bis Ende September zu 90 Prozent ausgebucht», freut sich Gastgeber Frank Nagel. Letzte News: Ein vier Kilometer langer Jogging-Weg schlängelt sich durch den eigenen (!) Wald. Im Park stellt die Schweizer Künstlerin Evelyn Brader Frank zur Zeit ihre Skulpturen aus.
>> Fotos: Michael Poliza, Christopher Schlang, soenne.com, HO