Text: Anita Lehmeier | Fotos: Valeriano Di Domenico

DREI MAL EINZIGARTIG. Die Markthalle Luzern, seit letztem November in Betrieb, hat drei Pluspunkte gegenüber anderen Märkten: Sie liegt im Soussol im Bahnhof und ist somit wetterunabhängig. Sie hat täglich bis neun Uhr abends geöffnet, auch an Wochenenden. Und sie hat eine eigene Köchin. «Eine Küche gehörte von Anfang an zum Business-Plan», erzählt Geschäftsführer Tim Holleman. «Die Küche ermöglicht die Verwertung der angebotenen Produkte, ein wesentlicher Teil unseres Nachhaltigkeits-Konzeptes.» Die SBB als Eigentümerin der Liegenschaft sei einverstanden gewesen, die Küche wurde installiert.  Gut versteckt im hinteren Teil des Laden-Marktes ist sie nun das Reich von Andrea Troxler (grosses Bild oben) und ihrem dreiköpfigen Team.

 

30.06.2023; Luzern: Andrea Troxler No-Food-Waste; Uebersicht Markthalle Luzern. © Valeriano Di Domenico

Die Markthalle im Untergrund des Bahnhofs Luzern hat 365 Tage pro Jahr geöffnet.

Ein spannender CV. Dass die junge Küchenchefin hier diskret im Verborgenen wirkt, ist keine Selbstverständlichkeit. Mit ihrem beeindruckenden Lebenslauf könnte sie sich Jobs in renommierten Restaurants und Punkte-Küchen aussuchen: Gelernt hat sie bei Raphael Tuor im «Adler» in Nebikon, der Regio-Pionier «Adler-Seppi» Josef Hunkeler war ihr Grossonkel. Gearbeitet hat sie danach unter anderen im «Maaemo» in Oslo, einem Dreisternebetrieb, im Atelier Joël Robuchon in London, im «Hopfenkranz» in Luzern, bei Ana Roš in Slowenien (beste Köchin der Welt 2017, «The World’s 50 Best Restaurants»), im Culinarium Alpinum in Stans, der Heimat des kulinarischen Erbes der Alpen im ehemaligen Kapuzinerkloster.

Mit Resten punkten. In der Markthalle sorgt Andrea Troxler nun dafür, dass Food-Waste, das Wegwerfen von Nahrungsmitteln, vermieden wird. Aus dem Gemüseregal, der Molkereiabteilung und der Fleischtheke kommen täglich die Produkte in ihre Küche, deren Verkaufsdatum demnächst abläuft. «Was wir hier machen, ist ein cooler Job, eine sinnvolle Sache», sagt Andrea Troxler mit Überzeugung. «Ich weiss aus früheren Jobs, wie viel Food-Waste in Profi-Küchen anfällt. Genau das versuchen wir hier in der Markthalle zu vermeiden. Lebensmittel verschwenden ist in der heutigen Zeit schlicht ein No-Go.» Um Abfall zu minimieren, um das gute Produkt voll und ganz wertzuschätzen, darum ist Andrea Troxler in der Markthalle angetreten.

 

30.06.2023; Luzern: Andrea Troxler No-Food-Waste; Uebersicht Markthalle Luzern. © Valeriano Di Domenico

Frische und Abwechslung: Auch das Take-Away-Angebot kommt bei der Kundschaft gut an.

Andrea Troxler No-Food-Waste; Andrea Troxler beim Rundgang in der Markthalle, im Bild bei der Gemüseabteilung. © Valeriano Di Domenico

Andrea Troxler pflückt Rüebli mit Lichtschäden zum Verwertung aus dem Regal.

Andrea Troxler No-Food-Waste; Uebersicht Markthalle Luzern. © Valeriano Di Domenico

Die Auswahl an Convenience-Gerichten wie Tortilla, Curry und Knödel variiert täglich.

Zmittag & Znacht von Andrea. Was dabei Feines herauskommt, hat sich bereits herumgesprochen: «Während zu Beginn die restlose Verwertung im Zentrum stand, hat sich das hausgemachte Sortiment zum Publikumsrenner entwickelt. Das Take-Away-Angebot besticht im Vergleich zur Konkurrenz mit Frische und Abwechslung. Die Grillsandwiches, die vegane Bratensauce und Andreas Eintöpfe begeistern unsere Kunden, das Echo ist enorm positiv. Wir haben schon Stammkunden, die fast täglich ihr Zmittag oder ihr Znacht hier holen», sagt Geschäftsführer Tim Holleman mit Stolz.

WOHIN MIT 70 KILO ERDBEEREN? Im Sommer, so erzählt Markus Schmid, Bereichsleiter Gemüse und Früchte, hätte seine Abteilung geradezu gebrummt, die Kundschaft hätte die Regale mit den frischen Produkten regelrecht gestürmt. Allein eine halbe Tonne Erdbeeren seien im Nu weggegangen. Gerade bei den fragilen Früchtchen müsse man aber immer wieder eingedellte oder überreife aussortieren. So sind täglich Erdbeeren in Troxlers Küche gelandet. Die wurden fortlaufend eingefroren und wenn es für einen Topf voll reichte, zu Konfi eingekocht, zusammen mit Rhabarber und Äpfeln. Oder in Portionenbeuteln vakuumiert als Sauce aufs Joghurt oder zum Müesli angeboten. Oder zu Gazpacho verarbeitet, zusammen mit Gurken, Tomaten, Basilikum und rosa Pfeffer. «Was gleichzeitig Saison hat, passt sehr oft auch gut zusammen», erklärt die Chefin. Als viele Rüebli und Äpfel anfielen, hat Troxler diese zusammen mit Zwiebeln, Sellerie, Bier, Senf und Kirschensaft zu einer veganen BBQ-Sauce verkocht. Aus Tofu, der bald sein Ablaufdatum erreicht hätte, fabrizierte die findige Köchin Tofucrème mit Rüebli und geräuchertem Paprika, vegane Sandwiches oder Dips. Nicht verkaufte Brote oder Sandwiches werden unter Andrea Troxlers Händen zu Serviettenknödeln, ein Überschuss an Eiern und Kartoffeln ergeben Tortilla de patatas für die Convenience-Abteilung.

 

Markthalle Luzern im Bild Stefan Widmer (L) und Tim Holleman, Co-Geschäftsführer (R). © Valeriano Di Domenico

Einkäufer Stefan Widmer und Geschäftsführer Tim Holleman (r.) bauen das Sortiment laufend aus.

Gemüsebouillon statt Abfall. Selbst Rüstabfälle von Gemüse und Pilzen weiss die Köchin noch zu verwerten: Die Abschnitte werden zerkleinert, püriert, gesalzen, getrocknet und pulverisiert – zu einem feinen Gemüsebouillon-Pulver! Eine Truhe mit täglich wechselndem Angebot in der Convenience-Abteilung und ein Tisch voller Einmachgläser zeugen vom Fleiss und der Fantasie des Markthalle-Küchenteams, wie man nicht mehr verkäufliche Rohstoffe sinnvoll verwertet. Und ein Blick in die grüne Abfalltonne in der Küche am Abend zeigt, wie erfolgreich Troxler und ihr Team in Sachen Food-Waste unterwegs sind: In der Tonne hats grad mal eine Handvoll matschiges Grünzeug – von einem langen Markt-Tag!

 

SANDWICH UND EINTOPF. Eben hat Andrea Troxler zwei schöne Stücke aus der Fleischabteilung vom Metzger Miguel Ferreira erhalten: Roastbeef und Siedfleisch. Aus diesen hat sie ein Zmittag-Angebot gemacht: Täglich gehen in der Markthalle zwischen achtzig und hundert Sandwiches über die Theken, neben veganen und vegetarischen auch solche mit Fleisch. Das Siedfleisch landet in einem Eintopf als Mittagsmenü. «Eintöpfe gehen immer, sie sind sehr beliebt bei der Kundschaft», weiss Andrea Troxler. «Und ich mag es, immer neue Kombinationen auszuprobieren!» Frische Gerichte oder Sandwiches, die nicht verkauft werden, bekommt das Personal der Markthalle zum Zmittag oder sie werden als «letzter Ausweg» zu Madame Frigo gebracht. Der gemeinnützige Verein hat in Luzern fünf öffentlich zugängliche Kühlschränke aufgestellt, wo jeder und jede übrige Lebensmittel bringen und andere sie gratis holen können.

«MARKET IN PROGRESS». Das Markthalle-Team hat noch viele weitere Ideen zum Thema Nachhaltigkeit. So will man noch konsequenter auf die Ganztierverarbeitung setzen: «Dafür sind wir momentan auf der Suche nach einem Partner, einer Metzgerei», sagt Stefan Widmer, der seit der ersten Stunde bei der Markthalle dabei ist. Auch über die Verbesserung der Logistik wird nachgedacht. «Jetzt bringen siebzig Lieferanten ein- bis mehrmals wöchentlich ihre frischen Waren zu uns. Um diese vielen Wege einzusparen, wäre ein Abholservice durch uns sinnvoller mit einem Lieferwagen, der auf kürzestem Weg von Produzent zu Produzent fährt», erläutert Widmer. «In der jetzigen Aufbauphase fehlt uns allen leider die Zeit, diese logistische Knacknuss anzugehen. Das aktuelle System der Anlieferung durch die Produzenten hat aber auch den Vorteil, dass wir diese alle persönlich kennen und regelmässig treffen. Auf diesen direkten Kontakt mit unseren Lieferanten legen wir viel Wert.»

 

www.markthalle-luzern.ch