Text: Anita Lehmeier | Fotos: Nik Hunger, HO

Goldreserven, die duften. Einen überzeugenderen Ort hätte sich Stefan Heller, Chef der Sortenorganisation Sbrinz AOP, nicht wählen können: Wir treffen uns zum Gespräch im Reifekeller in Luzern, vis-à-vis der St. Karli-Kirche, direkt an der Reuss. In dem Gebäude von anno 1926 lagern 55’000 goldgelbe, pneugrosse Laibe ihrer Reife entgegen. Handgepflegt, gedreht und scharf beobachtet von sieben Fachleuten. Ein Rundgang durch die fast hundertjährige Käsekathedrale mit ihren Dutzenden dunkler Kammern voller Schätze ist schlicht imposant, der Duft ebenso. Warm, salzig, würzig, milchig, harmonisch: Umami für die Nase! Seit zweieinhalb Jahren ist der Reifekeller offen fürs Publikum, Führungen lassen sich vereinbaren. Eine der ersten Amtshandlungen von Stefan Heller, seit drei Jahren Geschäftsführer der Sbrinz Käse GmbH. Das Unternehmen kümmert sich hauptsächlich um die Vermarktung des «Gold der Alpen», um die Qualitäts- und Produktionskontrolle und die Mengensteuerung. Von dem ehemaligen Wirte-Sohn, Sternekoch, Food-Entwickler und Emmi-Milch-Mann wollen wir wissen, was denn genau für Sbrinz AOP spricht.
Grosses Bild oben: Sbrinzproduzent Sälmi Töngi (r.), mit Stefan Heller, Chef von Sbrinz, vor der Alpkäserei Gerschnialp.

Sbrinz Produzent Saelmi Toengi September 2021

Herzstück der Sbrinz-Produktion ist die Lagerstätte in Luzern. 55'000 goldgelbe, pneugrosse Laibe lagern hier.

Was ist Sbrinz AOP?
Der Sbrinz AOP ist ein extraharter, vollfetter Käse aus Rohmilch. Er ist «blind», das heisst er enthält keine Löcher und ist leicht spröde, was ihn besonders reibfähig macht. Seit 2002 ist er im nationalen Register der geschützten Ursprungsbezeichnung (AOP) eingetragen. Mir gefällt die weniger technische Beschreibung «Gold der Alpen» besser.

 

Bei Emmentaler und Appenzeller ist die Herkunft klar. Woher kommt Sbrinz AOP?
Aus der Urschweiz. Sbrinz AOP wird weitgehend in den Zentralschweizer Kantonen Luzern, Nid- und Obwalden und Zug hergestellt. Und zwar seit bald fünfhundert Jahren. Erstmals ist von einem «Brientzer käss» die Rede in einem Eintrag des Berner Staatsarchives im Jahr 1530. Sbrinz oder Spalen, wie er lange hiess, war schon früh ein Exportgut. Säumer brachten jahrhundertelang die schweren Laibe mit Eseln und Pferden über die Alpenpässe nach Italien. Von den Italienern haben wir wohl den Namen bekommen: Weil viele Säumer sich in Brienz ennet dem Brünig sammelten, blieb der Begriff «die von Brienz», auf Italienisch «dello Brienz», hängen, das S zum Sbrinz rutschte wohl der einfacheren Aussprache wegen rein.  

 

Und das E fiel raus – Sbrienz geht gar nicht?!
Das E wird gesprochen, aber nicht geschrieben!

 

Wer stellt denn Sbrinz AOP her?
Das sind 25 ausgewählte Tal- und Alpkäsereien in der Zentralschweiz rund um den Pilatus, plus zwei Betriebe in der Ostschweiz. Sie beziehen die Milch ausschliesslich von 330 regionalen Produzenten. Auch die Lagerung findet in der Region statt, im Luzerner Reifekeller. So entfallen lange, unökonomische Transportwege. Regionalität, also die Herkunft, ist eine der drei Säulen der Sbrinz-Philosophie. 

 

Und die anderen Säulen sind…?
Die Tradition und das Handwerk. Sbrinz AOP wird noch heute so handwerklich hergestellt wie seit jeher, auch wenn natürlich die Technologie in vielen Schritten Einzug gehalten hat. Noch immer ist der Kupferkessel Vorschrift. Ebenso die Verwendung von Rohmilch, die silagefrei sein muss. Die Kühe fressen nur Gras und Heu. In ihre Milch, die höchstens 24 Stunden alt sein darf, kommen nur Lab, Milchsäurekulturen und Salz dazu, weitere Zutaten oder Zusatzstoffe sind nicht erlaubt. Denn echte Qualität braucht keine Tricks.  Vorgeschrieben ist auch die Lagerdauer, denn gut Ding will Weile haben. Sbrinz AOP wird 18 Monate gelagert, dann ist er ideal zum Hobeln. In der Ruhe liegt die Kraft. Heisst das volle Aroma entwickelt er ab 22 Monaten. Je älter ein Sbrinz, desto aromatischer und würziger wird sein Bouquet. Der Sbrinz AOP kann auf drei Arten genossen werden: im Aller von 18 Monaten lässt er sich zu hauchfeinen Rollen hobeln. In Möckli gebrochen bereichert er ab 24 Monaten jede Apéro- und Käseplatte. Und fein gerieben wertet er Pasta-Gerichte auf. Die Degustation zeigt, dass alle drei ganz unterschiedlich munden. 

25 Käsereien – das ist ein exklusiver Club. Wer kommt rein?
Wer sich eben an die Herstellungsvorschriften hält. Und wer die Qualitätskontrollen besteht. Die sind streng. Wir geben die Analysen bei einem Labor im Auftrag. Drei Fachleute prüfen jeden Laib, ob er den Ansprüchen genügt und den Stempel Sbrinz AOP aufgedrückt bekommt und im Reifekeller lagern darf. Der Stempel garantiert die Rückverfolgbarkeit, er weist die Käserei, das Herstellungsjahr und die Menge auf. Der Käse muss mindestens 18 von 20 Maximalpunkten erreichen. Bei der Pflege der Laibe, die senkrecht auf einfachen, alten Holzgestellen gelagert sind, wird fortlaufend durch unsere Fachkräfte geprüft, ob alles in Ordnung ist. Sie schauen sich die Rinde an, riechen daran und hören beim Klopftest, wie es innen drinnen aussieht. Für die Pflege haben unsere Mitarbeiter drei Hilfsmittel: Ein Leinentuch, mit dem sie die Laibe abreiben, einen Schemel zum Draufsitzen – und ein Radio.

 

Wie gross ist der Marktanteil von Sbrinz AOP im heimischen Käsemarkt?
Der liegt unter einem Prozent. Wir können uns also mit gutem Gewissen als Spezialitäten-Manufaktur bezeichnen. 

 

Was heisst das in Zahlen? Wie viel Sbrinz AOP wird jährlich produziert?
Letztes Jahr waren das 1600 Tonnen. Wussten Sie übrigens, dass ein Drittel des hierzulande konsumierten Käses aus dem Ausland kommt?! Es waren allein 5500 Tonnen Hartkäse aus Italien im letzten Jahr! Ironischerweise geht der grösste Anteil der 110 Tonnen exportierten Sbrinz nach Italien, gefolgt von Deutschland und Frankreich.

 

Wo liegt der Vorteil für die Käser, bei der Organisation dabei zu sein?
Wir übernehmen neben den Qualitätstest auch die Labortests, die chemischen Analysen. Und das Marketing. Ausserdem geben wir, wenn die Käse die strengen Prüfungen bestehen, eine Abnahmegarantie. Aber eben nur für erstklassige Produkte. Nach vier Monaten holen unsere Lastwagen die Laibe bei den Produzenten ab und kümmern uns um die Lagerung.

 

Es braucht viel Handarbeit und viel Zeit, bis ein Sbrinz AOP bei den Kunden auf den Tisch kommt. Das kostet.
Die leidige Preisfrage…. Ja, Sbrinz AOP kostet mehr als industriell hergestellter Parmesan, ganz klar. Meine Meinung dazu: Sbrinz AOP ist nicht teuer, sondern wertvoll. 

 

Hat Sbrinz AOP unter Corona gelitten? 
Ja, einerseits durch die geschlossenen Restaurants, damit brach ein Teil des Absatzes ein. Ein Stück weit konnten wir das durch Verkäufe im Detailhandel an Private ausgleichen. Viel schwerer zu schaffen machte uns die Menge an Importkäse. Weil die USA ein Importverbot auf Milchprodukte verhängte, schwemmte Italien den europäischen und den Schweizer Markt mit Käse zu Dumpingpreisen. Und leider ist bei vielen Konsumenten der Preis und nicht die Qualität der wichtigste Faktor bei der Produktewahl. Billig geht aber immer zulasten von Tierwohl, Mensch, Natur und somit zulasten des Produkts selbst. 

 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Sbrinz AOP?
Dasselbe wie für die ganze Welt: etwas mehr Wertschätzung fürs Handwerk! Und mehr Gspüri für das Miteinander.

 

www.sbrinz.ch