Text: Anita Lehmeier I Fotos: David Künzler

GOLDRESERVEN IM KELLER. Im Culinarium Alpinum in Stans hat der Alp-Sbrinz AOP, ein jahrhundertealtes Naturprodukt, eine neue Heimat gefunden. Der Showroom ist das Prunkstück des kulinarischen Erbes der Alpen. Im unterirdischen Gewölbekeller lagern die goldfarbenen Laibe aller acht Sbrinz-Alpen der Zentralschweiz, wo heute noch gekäst wird wie zu Gotthelf Zeiten. Für Liebhaber ein Anblick wie die Goldreserven der Nationalbank – nur appetitlicher. Der Alp-Sbrinzkeller war dann auch am Wochenende des Säumerfestes ein Magnet. Für einmal weniger des Anblickes und des Duftes wegen, sondern vor allem wegen der zwölf Grad. Draussen herrschten tropische Temperaturen um 30 Grad am Schatten – nur gab es davon sehr wenig. Die Besucher des Volksfestes, die sich das muntere Treiben mit Marktbetrieb trotz Gluthitze nicht entgehen lassen wollten, suchten inmitten der mächtigen Alp-Sbrinz-Laiben Abkühlung. Und erfuhren nebenbei viel Wissenswertes über das traditionsreiche Genussmittel. Christian Sulzberger von der Molki Stans, der zusammen mit seinem Partner Axel Diepold den Keller ganzjährig betreut, führte die Gäste durch sein herrlich kaltes Reich.

Gault Millau; Säumerfest 2023 - Daniel Flüeler, Chefsäumer

Bereit für die 37. Alpenüberquerung: Daniel Flühler aus Alpnach OW, Präsident und «Gesicht» der Säumervereinigung.

Gault Millau; Säumerfest 2023, Simba - Sbrinz-Hund

Hot Dog: Simba mit den zweifarbigen Augen trägt wie die Säumer ein Glarner Tüchli.

Gault Millau; Säumerfest 2023

Es braucht Muckis, um die schweren Laibe Alp-Sbrinz AOP auf die Tragpferde zu heben. Die Rinde schützt den Käse vor Nässe und Hitze.

KLOSTER ALS KULISSE. Auf dem grossen Vorplatz bewiesen die Säumer und ihre Tiere echte Coolness. Wahrhaft stoisch ertrugen die Vierbeiner die Bruthitze. «Solange sie genug Wasser bekommen, ist Hitze und Sonne kein Problem für die Tiere», meint Säumer Reto Niggli aus Fideris auf besorgte Fragen von Besuchern nach dem Tierwohl. Den zwei Dutzend Säumern und Säumerinnen – erstmals waren die Frauen in der Überzahl! – rann zwar der Schweiss in Bächen in ihre historischen Kutten und Jenny-Hemden, aus den Bärten, unter den dicken Filzhüten – alle nahmen es gelassen. T-Shirts, Shorts oder bunte Wanderkleidung sind für Säumer tabu – sich wie anno dazumal zu kleiden ist Ehrensache. «Wir sind uns allerlei Wetter gewöhnt, auch Hitze und Sonne. Und unsere Vorfahren wussten schon, was gute Wanderkleidung ist: Naturmaterialien wie Leinen, Baumwolle, Wolle und Flachs!», sagt Daniel Flühler, Präsident der Säumer & Train-Vereinigung Unterwalden und mit 36 Saumzügen Rekordhalter. Die Vereinigung mit 600 Mitgliedern feierte ihr Jubiläum «20 Jahre Sbrinz-Route» stilecht vor der imposanten Kulisse des Klosters in Stans. Rundherum gabs Festbetrieb mit Ländlermusik, Marktstände, Ponyreiten für die Kleinen, traditionelles Handwerk wie Korbflechten, ein Hufschmied verpasste zwei Haflingern neue Mass-Schuhe für die Reise. In einem hübschen Holzchalet wurde Sbrinz AOP verkauft, zwei Trachtenleute schnitten Stücke in den gewünschten Grössen aus den Laiben. In einem Quiz konnte das Publikum sein Käsewissen testen, auf Schiefertafeln waren die Stationen der Sbrinz-Route fein säuberlich auf Karten verzeichnet.

Gault Millau; Säumerfest 2023

Ein Haflinger aus dem Säumerzug, bereit für den 150 Kilometer langen Marsch wie anno dazumal. Seit zwanzig Jahren gehen wieder Säumerzüge auf der Sbrinz-Route den kürzesten Weg über die Alpen.

GESCHICHTE ZUM ERLEBEN. Vor zwanzig Jahren liess eine Gruppe geschichts-affiner Zentralschweizer die jahrhundertealte Tradition des Säumens wieder aufleben und marschiert seither jeden Sommer auf historischen Pfaden auf dem kürzesten Weg über die Alpen, 150 Kilometer von der Zentralschweiz bis Domodossola. Mit Sack und Pack – und natürlich mit den bis zu 45 Kilo schweren Alp-Sbrinz-Laiben, die von den Saumtieren über Stock und Stein getragen werden. Dem Käse kann die Hitze nichts anhaben, die Rinde von dreijährigem Alp-Sbrinz AOP bietet den perfekten Schutz. Auch wenn die Rinde schwitzt, innen bleibt der Käse perfekt in Geschmack und Konsistenz. Jahrhundertelang sicherte der Export-Schlager Alp-Sbrinz den Urschweizer Bauern, die den langen, gefährlichen Weg nicht scheuten, satte Gewinne. Ihre Routen waren die ersten Alpentransversalen, auf denen massiver Verkehr herrschte, bis 300 Bewegungen in gen Süden und retour. «Lo sbrinzo» (der aus Brienz, einst Sammelplatz zum Abmarsch) war ennet der Alpen an Fürstenhöfen bis zum Vatikan heiss begehrt. Heutzutage bringt der Säumerzug noch symbolische sechs Laibe über die Berge nach Italien, geladen auf kräftige Freiberger. Die anderen Pferde, Esel, Ponys und Mulis tragen Heu, Decken oder Wechselkleidung ihrer Führer in Körben und Säcken, Fässern und Koffern mit. Die Besammlung der Säumerzugs mit Teilnehmenden aus der ganzen Schweiz bot am Fest zwei Tage lang «Living History» – Geschichte zum Anfassen und Erleben. Im Vollpackung zogen die Säumer durch Stans, ernteten viel Applaus am samstäglichen Markt und an der Schmiedgass-Chilbi, die ebenfalls am Wochenende stattfand. Die Saumtiere bewiesen in der engen Gasse Nervenstärke und paradierten durch die jubelnde Menschenmenge. 

ALPENPÄSSE STATT JAKOBSWEG. Begleitet werden die Säumer auf ihrer Alpenquerung von Wanderern, 30 fitte und trittsichere Damen und Herren jeden Alters, die statt auf dem überlaufenen Jakobsweg zu pilgern auf abgeschiedenen Pfaden über die Alpen gehen. Zusammen mit den Säumern und ihren Vierbeinern, sieben Tage lang, auf sieben Etappen, 150 Kilometer in der alpinen Natur. An den Etappenhalten erwartet den Zug jeweils «ein grosser Bahnhof», wie Daniel Flühler weiss. «Unser Zug sorgt stets für Aufsehen, wir werden begrüsst und verpflegt, die Leute jubeln uns zu, haben Feste und Unterkünfte organisiert. Und in Domodossola reissen sie uns dann den Alpsbrinz aus den Händen. Am 25. August treffen wir da auf dem Marktplatz ein. Meist sind die Laibe in kaum einer Stunde verkauft. So wie das immer war!»

 

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>> www.sbrinzroute.ch

>> www.culinarium-alpinum.ch