Rössli

Eine Extrameile für die Gäste: Ueli Kellenberger packt schon mal nach dem Abendservice den Schlafsack und eine gute Flasche Riesling in den Rucksack, marschiert hoch auf den Hausberg Pardiel und übernachtet unter den Sternen. Ziel der einsamen Expedition: im Morgengrauen Pilze sammeln, Eierschwämmli und Steinpilze vor allem. Die Ausbeute wird umgehend verarbeitet. Die Eierschwämmli befördern den ohnehin schon ausgezeichneten Risotto in eine höhere Liga. Und die Steinpilzscheiben kriegen ein verblüffendes Hochsommer-Tuning: Pfirsich!
Bei Ueli Kellenberger ist gut essen. Weil zu jedem Gang noch «das gewisse Extra» kommt. Die kalte Gurkensuppe war an diesem heissen Sommertag prima – aber da schwammen noch die kleinen, knackigen Nordseekrabben mit, die den Klassiker aufwerteten. Beim Saku-Tuna setzten Ingwer, Thai-Basilikum, Timut-Pfeffer und Zerbinati-Melonen Akzente, bei der Gänselebertranche passten Aprikosenchutney und ein Glas Marsanne blanche 2007 aus dem Wallis ganz ausgezeichnet. Die Kohlräbli zu den feinen Egli aus Raron stammten aus dem eigenen Garten, ebenso die Bohnen zu den prächtigen, acht Wochen lang abgehangenen Rindskoteletts der Maienfelder Familie Zindel. Im Zweifelsfall geht beim Chef Geschmack über Optik. Wahnsinnig elegant sah das Scampitatar unter einer Thai-Kruste nicht aus, aber die raffinierte Schärfe, die sich beim zweiten Bissen bemerkbar machte, war grossartig und baute im Teller Spannung auf.
Kellenberger kocht auch unter erschwerten Bedingungen hervorragend. Er verwöhnte während des Lockdowns zuvorkommend seine Hotelgäste; viele von ihnen checkten nur für eine Übernachtung ein, um endlich wieder mal in einem Restaurant so richtig gut essen zu können. Kochen kann der Kerl auch ohne Strom, auf offenem Feuer: Bei einem Gastspiel und kulinarischem Härtetest auf der Züneweid ob Gstaad verblüffte er seine Berufskollegen mit südafrikanischen Scampi (Kaliber 3/6!), Seezunge und Lammbauch. Erstklassig, auch auf der Alp.
Das modern eingerichtete «Rössli» ist auch ein Wohnzimmer. Vor allem Weinfreunde und Winzer kehren gern bei Doris und Ueli Kellenberger ein, mittags für einen schnellen, aber liebevollen Lunch, abends für den Mehrgänger und auch für einen önologischen «Mehrkampf». Weinkarte und Weinwissen sind enorm in diesem Haus, die Gastfreundschaft ebenfalls. Finden auch die Ikonen-Winzer Martha und Daniel Gantenbein: «Das ‹Rössli› ist unsere Kantine.»