Rössli
Ein Besuch bei Stefan Wiesner, dem «Hexer» aus dem Entlebuch, hat schon fast was Spirituelles. Man taucht ein in eine ganz andere Art der Spitzengastronomie und muss alles vergessen, was man über Aromen und Konsistenzen zu wissen glaubt – und sogar auch, was essbar ist und was nicht. So ist das «Rössli» über die Jahre zu einem Ort mit «alchimistischer Küche» geworden, an dem Gäste aus der ganzen Schweiz Naturküche pur suchen. Da wird mit Steinen hantiert, mit Feuer, mit Erde, mit Luft. Da werden Flechten gekocht, Rottannensamen geröstet, wird Weizenmalz aufgekocht, Heidelbeerasche pulverisiert oder aus Büffelmilch ein Büffeleiweissschaum gemacht.
Fast alle Gänge gehen von einem einzelnen Produkt aus, das dann in diverse Aggregatzustände versetzt wird. Zum Gericht «Pilz» wird etwa ein Strudel aus fermentierten Steinpilzen serviert, begleitet von eingelegten Steinpilzen, Steinpilzcreme, Steinpilzöl, Steinpilzbrösel und Steinpilzschaum. Im Gang «Ei & Huhn» gibt’s eine in Hühnerfett pochierte Hühnerbrust mit «gegackertem» Alpen-Salz, Eigelb (im Hühnerfond wie ein Onsen-Ei gegart), Eiweiss-Baiser, Hühnerjus, auf der Haut gebratenen Hühner-Knusper und Ei-Knusper (inklusive Schale).
Wiesners «Hexereien» lassen sich kaum im Detail beschreiben, aber auch wenn man einiges zum Voraus ungeniessbar findet – oder haben Sie schon mal kandiertes Moos oder ein Gebäck aus Schieferstein gegessen? –, was aufgetragen wird, ist spannend und im besten Fall köstlich. Aber: Beim Menü «Elementar» kommen in jedem Gang so viele Aggregatzustände eines Produktes zusammen, dass man sie oft nicht mehr auseinanderhalten kann. Sogar der Chef muss die Unterlagen konsultieren, um nicht den Überblick zu verlieren. Zum Beispiel bei der «Schwarzwurzel»: Die gibt’s gekocht, geschmort, püriert und als Milch gepresst, mit fermentierten Blättern, gerösteten und zu Öl verarbeiteten Samen und mit pulverisiertem Trester. Oder beim «Saibling»: Den gibt’s im Fischöl konfiert, als Tatar, als Rogen, als Garum (alte römische Würzsauce) fermentiert und serviert mit seiner gebackenen Haut sowie seiner pulverisierten Gräte.
Begleitet wird das Essen von auf die einzelnen Gänge abgestimmten Klangkompositionen (Wind im Fichtenwald, summende Bienen, Schritte im Heidelbeerfeld) eines befreundeten Künstlers. Da weht durch die Gaststube schon mal ein sakraler Hauch – der glücklicherweise durch das gut aufgelegte Team im Service immer wieder aufgebrochen wird. Auf die vorzügliche Weinbegleitung sollte man übrigens nicht verzichten: Jeder Wein stammt aus einem anderen Kanton und ist eine Entdeckung wert.
PS: Aufgepasst, beim «Hexer» wechseln die Öffnungszeiten häufig.