Text: Anita Lehmeier I Fotos: Ellin Anderegg

Urs Schlüchter, mit Ihrem Ostschweizer Dialekt verortet man Sie keinesfalls im Emmental. Welche Beziehung haben Sie zu der Heimat des berühmtesten Käses der Schweiz?

Der Dialekt täuscht: Mein Heimatort ist Schangnau BE – mehr Emmental geht also gar nicht! Mein Grossvater wanderte aus dem Bernbiet in die Ostschweiz aus. Und ich bin mit Käse gross geworden: Mein Vater war Käser.

Sind Sie mit diesem Erbe dem Gewerbe treu geblieben?

Nein, aus mir wurde kein Käser, aber ich habe mich beruflich immer mit Essen und Genuss beschäftigt. Ich war über 20 Jahre lang in diversen Funktionen bei Nestlé in Vevey tätig, im Marketing, im Verkauf, im Management, habe im In- und Ausland gearbeitet. Und ich habe ein Start-up mit auf die Beine gestellt, das Glacé herstellt und vertreibt.

Sie sind seit 100 Tagen Direktor bei Emmentaler Switzerland. Was verbirgt sich hinter diesem Namen?

Das ist eine Sortenorganisation, ein Verein mit 2200 Mitgliedern und über 100 Käsereien, in denen Emmentaler AOP herstellt wird, rund 17'000 Tonnen pro Jahr. Wir sind in 30 Ländern tätig, Emmentaler ist ja ein wichtiges Exportgut. Rund 60 Prozent der Gesamtproduktion gehen ins Ausland. Neben Käsern sind auch Bauern, also die Milchproduzenten, und Händler im Verein aktiv. Ich versuche, die Interessen dieser drei Gruppen zu koordinieren, denn nicht alle diese drei Vertreter haben die gleichen Ziele. Unsere Geschäftsstelle in Bern mit rund zehn Mitarbeitenden ist ausserdem für die Mengensteuerung, die Qualitätssicherung, das Marketing sowie den Marken- und Herkunftsschutz verantwortlich.

 

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Emmentaler AOP gibt es in acht Reifegraden.

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Dekor im Restaurant Stadtkäserei beim Hauptbahnhof Zürich.

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Über die Hälfte vom Emmentaler AOP geht in den Export.

Viele Branchen leiden enorm unter Lieferengpässen und Fachkräftemangel. Sie auch?

Unser Rohstoff, die Milch, fliesst, das bereitet uns also keine Probleme. Obwohl die Anzahl der Lernenden wieder kontinuierlich steigen, sind auch die Käsereien vom Fachkräftemangel betroffen. Es ist schwierig Fachkräfte zu finden, die eine Käserei übernehmen wollen. Dies ist eine unserer Herausforderungen. Es gibt aber auch noch weitere.

Und welche sind das?

Wir haben zwar während der Corona-Pandemie sehr gut gearbeitet, 2020 und 2021 waren im Heimmarkt gute Jahre. Weil die Restaurants geschlossen waren, haben sich die Leute halt zu Hause etwas Gutes gegönnt. Im laufenden Jahr ist aber unser Verkaufsvolumen zurückgegangen auf das Niveau von 2019. Dies hat Auswirkungen auf die Produktionsmenge von Emmentaler AOP. Unsere AOP-Käsereien sind deshalb schlechter ausgelastet. Mein Ziel lautet hier: Zurück auf einen Wachstumskurs. Als exportabhängige Branche spüren wir natürlich die schwierige geopolitische Lage, die hohe Inflation in vielen unserer Absatzmärkte. Und die steigenden Energiepreise wirken sich negativ auf die Wertschöpfungskette unserer Produzenten aus.

Sie haben den grossen Vorteil, dass Emmentaler ein bestens eingeführtes Produkt ist. Emmentaler gibt es seit Jahrhunderten, jedes Kind kennt den Käse mit den Löchern drin. Wo liegt das Problem bei der Vermarktung?

Der Markt steht nicht still. Um erfolgreich zu sein, müssen wir agiler werden, auf die veränderten Bedürfnisse reagieren. Nehmen Sie das Frühstück: Kaum jemand setzt sich an den Tisch und schmiert sich Konfi- oder Käsebrote. Gefrühstückt wird heute mobil, unterwegs. Da wollen wir dabei sein. Und wir müssen den Konsumenten klar machen können, warum Emmentaler AOP teurer ist als anderer, industriell hergestellter Grosslochkäse. Wir wollen unsere Vorzüge besser betonen. Frankreich als Beispiel produziert ein x-faches an Emmentaler, aber nur unser einheimischer Emmentaler AOP entsteht in traditioneller Handarbeit, ist ein hundert Prozent natürliches Produkt, aus silagefreier Rohmilch, die maximal 20 Kilometer vom Bauern zur Käserei gefahren und innert 24 Stunden verarbeitet wird. Das hat halt seinen Preis. Und der ist bei vielen Konsumenten das gewichtigste Argument. Trotzdem betonen wir weiterhin, dass Emmentaler AOP für Genuss und Qualität steht.

 

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Gruppen können in der Stadtkäserei ihren eigenen Laib herstellen. 

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Käser Daniel Limacher zeigt in der Mini-Chäsi, wies gemacht wird.

Können Sie denn juristisch gegen ausländischen Emmentaler vorgehen?

Der Marken- und Herkunftsschutz von Emmentaler AOP ist je nach Land sehr unterschiedlich. Im Heimmarkt und in unseren wichtigen Exportmärkten gehen wir jedoch konsequent gegen nicht korrekt deklarierte Produkte vor. In Italien zum Beispiel darf nur unser Emmentaler AOP als Emmentaler ausgelobt werden. Die weitere Stärkung des Markenschutzes ist ein wichtiges Thema, für welches es sich zu kämpfen lohnt. Solche Prozesse sind allerdings langwierig und teuer.

Emmentaler AOP gilt als milder Käse, viele mögen es ja mild. Ein Vorteil?

Der milde, klassische ist tatsächlich der bekannteste und auch der meistgefragte. Aber Emmentaler AOP ist ein Alleskönner. Es gibt acht Reifegrade von mild bis kräftig rezent. Der milde reift mindestens vier Monate, der mittelreife acht und der höhlengereifte mindestens zwölf Monate, davon sechs Monate in einem Felsenkeller. Der Eidgenoss mit vierzehn Monaten und der Urtyp mit zwölf bis fünfzehn Monaten Reifung sind dann richtig räss. Da ist für jeden Geschmack einer dabei. Das wollen wir klar kommunizieren.

Was steht noch auf Ihrer To-do-Liste?

Ich möchte die Millennials in den Fokus nehmen, den jungen Konsumenten Emmentaler AOP schmackhaft machen. Dazu ist einiges geplant auf den Social-Media-Kanälen. Mit der klassischen Werbung sind die Millennials kaum zu erreichen. Und wir tüfteln an neuen Darreichungsformen im Bereich Convenience. In Italien läuft gerade ein Test mit dünnen Scheiben. Mir ist aufgefallen, dass da in den Selbstbedienungsabteilungen etwa achtzig Prozent aller Käse in sehr dünnen Scheiben angeboten wird. Da sehe ich Potenzial. Auch denken wir über Kombis nach, zum Beispiel Emmentaler AOP mit Fleisch und Oliven als Aperoplättli. Wir werden schon in fünf Jahren neue Darreichungsformen bei Lebensmitteln haben, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können. Bei all diesen Entwicklungen halten wir Augen und Ohren offen, um nichts zu verschlafen.
 

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Käser Daniel Camenzind stellt seit 46 Jahren Emmentaler AOP her, im Familienbetrieb in Schalchen, Züri Oberland. 

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Das Séparé des Restaurant Stadtkäserei.

Beim Vegan-Trend können Sie aber nicht mithalten.

Da nicht, aber Emmentaler AOP ist von Natur aus laktosefrei und frei von Zusätzen. Da punkten wir mit einem Produkt, das seit 500 Jahren trendy und natürlich ist.

Junge Konsumenten legen neben praktischen Portionenverpackungen auch Wert auf das Thema Tierwohl. Können Sie da auch punkten?

Ja, mit den AMS, den neuen automaischen Melksystemen, die bei einigen unserer Milchlieferanten schon im Einsatz sind. Mit den AMS entscheidet die Kuh selber, wann sie gemolken wird, und geht selbstständig nach ihrem eigenen Rhythmus in den Stall zum Melken. Ein Chip am Halsband sorgt dafür, dass die vorgeschriebenen acht Stunden Pause zwischen zwei Mal Melken eingehalten werden. Und wir haben ja bereits Bio-Qualitäten im Sortiment für Konsumenten, die Wert auf Tierwohl und Nachhaltigkeit legen.
 

>> Das Interview mit Urs Schlüchter fand im Restaurant Stadtkäserei beim Hauptbahnhof Zürich statt. In der Mini-Käserei stellt Daniel Limacher zwar keinen Emmentaler her (dafür sind das Kessi und der Raum schlicht zu klein), sondern Raclette-, Rahm-, Halbhart- und Blauschimmelkäse, ausschliesslich für den Eigenbedarf des Restaurants.

 

www.emmentaler.ch

www.restaurant-stadtkaeserei.ch